Will die Stadt Wiesbaden das Demonstrationsrecht gegen Kriege außer Kraft setzen?
Voreingenommenheit und Inkompetenz im Wiesbadener Ordnungsamt

Aktueller Stand im Bußgeldverfahren

 

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Hessenschau am 3. Juli 2003: Ordnungsdezernent Peter Grella (Bild links) mußte zugeben, dass man nicht zuständig sei. Hans-Gerd Öfinger wehrt sich weiter - bis zur Einstellung des Verfahrens.

Am 24. März 2003, vier Tage nach Ausbruch des Irak-Krieges, fand in Wiesbaden eine spontane Schülerdemonstration gegen den Krieg statt. Hans-Gerd Öfinger, seit Jahren Mitinitiator und Organisator von Demonstrationen und Protestaktionen gegen den Krieg in Wiesbaden, erfuhr davon und half den Jugendlichen mit PKW und Lautsprecher aus. Da die Schüler sich zunächst vor dem Rathaus trafen und dabei zu nahe am Landtag standen, wollte das Wiesbadener Ordnungsamt eine Geldbuße von 1250 Euro verhängen. Jetzt hat sich herausgestellt, dass die Stadt hierfür gar nicht zuständig ist.

 

Am 14. April 2003 leitete die Bußgeldbehörde gegen Hans-Gerd Öfinger wegen angeblicher Verletzung der Bannmeile (Ordnungswidrigkeit nach § 29 Versammlungsgesetz) ein Bußgeldverfahren ein und schlug einen Betrag von 1250 Euro vor. Der Beschuldigte ließ dies nicht auf sich sitzen. Er wehrte sich und schaltete einen Rechtsanwalt ein. Die im Rahmen der Anhörung abgegebene Stellungnahme widerlegte Punkt für Punkt die auf einen Polizeibericht fußenden Anschuldigungen gegen Hans-Gerd Öfinger.

 

Gleichzeitig fand die Protest- und Solidaritätskampagne ein starkes Echo. Von München über Augsburg bis Ostfriesland, von Leipzig über Eisenach bis Köln trafen Protestschreiben von Gewerkschaftern, Friedensaktivisten, Jugendlichen, Organisationen, Mandatsträgern und vielen Privatpersonen beim Wiesbadener Ordnungsamt und beim zuständigen Dezernenten ein. Selbst aus den USA, Italien, Schweden und Schottland trafen Briefe ein. Diese eindrucksvolle Solidarität stärkte uns den Rücken. Am 1. Juli drehte ein Team des Hessischen Rundfunks vor Ort einen Beitrag zum Thema für die Hessenschau. All dies zeigte Wirkung.

 

So mußte der zuständig Wiesbadener Ordnungsdezernent Peter Grella in dem am 3. Juli ausgestrahlten Beitrag für die Hessenschau kleinlaut zugeben, dass man sich geirrt habe, da die Stadt für diesen Fall gar nicht zuständig sei. Inzwischen wurde die Bußgeldsache an das Hessische Innenministerium weiter geleitet. Der dort zuständige Sachbearbeiter, Ministerialrat Heinrich Sievers, scheint laut Hessenschau-Bericht wenig geneigt zu sein, ein Bußgeld von 1250 Euro zu verhängen.

 

Diese „überraschende“ Wendung wäre ohne den starken öffentlichen Druck, ohne die vielen Protestbriefe, Unterschriften und Presseanfragen und den Bericht in der Hessenschau am 3.7. wohl kaum zustande gekommen.

 

Fragen über Fragen

 

Gleichzeitig wirft der Vorgang viele Fragen auf. Was hätte das Ordnungsamt mit einem Beschuldigten angestellt, der sich nicht zu wehren gewußt hätte? Wie steht es um die Kontrolle der Wiesbadener Stadtregierung durch die Stadtverordneten? Weiß der Wiesbadener Magistrat noch, was seine Angestellten und Beamten tun und lassen?

 

In den über 11 Wochen seit dem 14. April hat die Behörde nicht nur einen Fall verfolgt, für den sie rein rechtlich gar nicht zuständig war, sondern sie hat auch in aller Öffentlichkeit starke Äußerungen von sich gegeben, die einer Vorverurteilung gleichkommen. Die Worte der Herren Erkel (Mitarbeiter im Ordnungsamt), Pohlenz (Amtsleiter) und Grella (zuständiger Dezernent, also hauptamtliches Mitglied der Stadtregierung) gegenüber der Presse machen deutlich, welche Geisteshaltung in ihren Köpfen vorherrscht und was sie mit diesem Fall politisch bezwecken wollten. Es sollte ein Exempel statuiert werden. Allen Jugendlichen, die in den letzten Monaten erstmals in ihrem Leben auf die Straße gingen, sollte gezeigt werden: Wer den Mund aufmacht, muß mit Konsequenzen rechnen.

 

Öfinger hatte mehrfach bei Demonstrationen die hessische Landesverfassung zitiert:

 „(1) Hessen bekennt sich zu Frieden. Freiheit und Völkerverständigung. Der Krieg ist geächtet.

(2) Jede Handlung, die mit der Absicht vorgenommen wird, einen Krieg vorzubereiten, ist verfassungswidrig.“
(O-Ton  Artikel 69 der Hessischen Verfassung).

 

Gleichzeitig hatte er darauf hingewiesen, dass Bewunderer von George W. Bush und Unterstützer des Irak-Krieges in Wiesbaden führende Positionen in Landtag, Staatskanzlei und Rathaus bekleiden. Da diese sich aber selbst nicht zu einer Demo pro Bush und pro Irak-Krieg aufraffen konnten, wollten sie mit dem Bußgeldverfahren offensichtlich wenigstens einem profilierten örtlichen Kriegsgegner eins auswischen.

 

Befangenheit

 

Die nachfolgend in kursiver Schrift aufgeführten Zitate aus der Presse (Wiesbadener Kurier, Tageszeitung/taz und Frankfurter Rundschau) im O-Ton sprechen Bände:

 

„Wer sich an einer Demonstration innerhalb der Bannmeile beteilige oder dazu aufrufe, könne mit einer Geldbuße bis zu 15000 Euro belangt werden, erläutert Erkel das Gesetz. Beim ersten Verstoß sei eine Geldbuße „im ersten Drittel des Betrages üblich. Mit 1250 Euro sei man also moderat.“

(WK 29.05.03)

 

„Das Wiesbadener Ordnungsamt aber hält an dem Bußgeld fest. "Herr Öfinger hat die Spontandemonstration bewusst in die Bannmeile reingeführt, obwohl er die Bannmeile genau kennt", erklärte gestern Behördenleiter Hans-Henning Pohlenz gegenüber der taz. Besonders stößt Pohlenz auf, dass Öfinger die Öffentlichkeit mobilisiert. "Wir haben bisher exzellent mit ihm zusammengearbeitet. Warum macht er jetzt, gelinde gesagt, so einen Scheiß?" Pohlenz machte zudem die Fronten klar: "Das hilft ihm nichts." “

(Tageszeitung/taz am 5.6.03)

 

Ordnungsdezernent Grella kann verstehen, dass Öfinger ungern 1250 Euro zahlen möchte, und verweist auf das Recht der Anhörung: Der Friedensaktivist könne selbstverständlich seinen Standpunkt gegenüber der Behörde darlegen, erst danach werde über die Fortsetzung des Verfahrens entschieden. Der Sachverhalt sei zwar "kein alltäglicher", räumt Grella ein. Er gibt aber zu bedenken, dass es sich lediglich um eine Ordnungswidrigkeit und keine Straftat handele. Von einer Kriminalisierung des Kriegsgegners könne deshalb keine Rede sein.
Auch werde mit dem Bußgeld "keinerlei inhaltliche Wertung" der Demo ausgedrückt. "Man kann gegen alles demonstrieren, muss sich aber an die Vorschriften halten", so Grella. Dass der Demo-Organisator und Gewerkschafter Öfinger diese kenne, stehe außer Frage. Fraglich sei indes, was mit den Unterschriften bezweckt werde: Ein Meinungsbild sage nichts über die rechtliche Seite der Sache aus.
(FR 31.05.03)

 

Die Äußerung von Erkel, 1250 Euro seien noch „moderat“, läßt vermuten, dass man einem unbequemen Friedensaktivisten mal eins auswischen wollte und dieser noch froh sein solle, dass man ihn gnädigerweise nicht noch viel härter bestraft.

 

Die Aussage des Amtsleiters Pohlenz, Öfinger habe die Demo bewußt in die Bannmeile reingeführt, ist eine rufschädigende Falschaussage. Pohlenz hat zu diesem Zeitpunkt die von Öfingers Anwalt eingereichte Stellungnahme entweder noch nicht gekannt oder bewußt ignoriert. Diese Aussage steht auch im Widerspruch zum Polizeibericht, in dem es ausdrücklich heißt: „Es konnte nicht geklärt werden, wann bzw. wie der Ö. zu den Schülern stieß“. Skandalös ist auch die Aussage „Das hilft ihm nichts“, zu einem Zeitpunkt, da Öfingers Stellungnahme im Rahmen der Anhörung eben erst bei der Behörde eingegangen war und deren Inhalte sicher noch nicht genau von den „Profis“ im Ordnungsamt geprüft worden waren.

 

Auch Grellas Äußerungen in der FR lassen eine politische Motivation vermuten. Der Dezernent, der noch Ende Mai dozierte, man müsse sich „an Vorschriften halten“, mußte Anfang Juli vor laufender Kamera wie ein Schuljunge zugeben, dass man sich mit der Handhabung der Vorschriften in einem solchen Fall im Rathaus eben nicht auskenne, weil es kein alltäglicher Fall sei. Fazit: Entweder werden wir von absoluten Dilletanten regiert, oder wurde Grella dazu verdonnert, vor laufender Kamera den Kopf hinzuhalten und den „Ahnungslosen“ zu spielen. Man ist immer klüger, wenn man aus dem Rathaus kommt.

 

Im Namen von Hans-Gerd Öfinger hat Anwalt Gerhard Strauch jetzt in einem Schreiben an die Zentrale Bußgeldbehörde um Mitteilung gebeten, ob vor Einleitung des Verfahrens die Frage der sachlichen Zuständigkeit geprüft wurde. Ebenso hat er darauf hingewiesen, dass Öfinger durch die fehlerhafte Verfahrenseinleitung Kosten (Anwaltskosten etc.) entstanden sind, die ggf. als Amtshaftungsschaden gegenüber der Landeshauptstadt Wiesbaden geltend gemacht werden können. Schließlich wird von Pohlenz aufgrund seiner rufschädigenden Falschaussage in der „taz“ und seiner Voreingenommenheit ein   unverzüglicher öffentlicher Widerruf und eine Entschuldigung verlangt. Rechtsanwalt Strauch hat in einem Schreiben an die Zentrale Bußgeldstelle, den Oberbürgermeister und den Magistrat der Landeshauptstadt Wiesbaden die Befangenheit von Pohlenz kritisiert und um disziplinarische Überprüfung gebeten.

 

Der Anwalt hat in der Presseerklärung vom 4.7. noch einmal den rechtlichen Standpunkt zusammengefaßt und bekräftigt, warum das Bußgeldverfahren einzustellen ist:

  1. Da sich die Schüler spontan vor dem Rathaus trafen, liegt der Begriff einer Versammlung in der Bannmeile nicht vor.
  2. Öfinger war nicht Leiter der spontanen Versammlung, sondern hat den Schülern lediglich mit Auto und Lausprecheranlage geholfen.
  3. Zur fraglichen Zeit fand keine Landtagsssitzung o.ä. statt. Die Polizei hat es unterlassen, die Spontandemonstration auf die Möglichkeit einer telefonisch einzuholenden Ausnahmegenehmigung durch das Innenministerium hinzuweisen. Die Genehmigung zur Demo innerhalb der Bannmeile wäre dann mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auch erteilt worden.
  4. Der Bundestag hat kürzlich das Demonstrationsverbot in der Bannmeile um den Reichstag aufgehoben. Das Ziel der Schüleraktion, nämlich eine Demo gegen den Irak-Krieg, war zu keinem Zeitpunkt auf eine  Beeinflussung der Landtagsabgeordneten ausgerichtet. Schon deswegen hätte das Bußgeldverfahren wegen Bannmeile um den Landtag erst gar nicht eröffnet werden dürfen.

Solidarität – was nun?

Die in den letzten Wochen gezeigte Solidarität (noch immer gehen tagtäglich bei uns Kopien von Briefen und Unterschriftslisten ein) war sehr hilfreich und nützlich. Doch das Bußgeldverfahren ist noch nicht eingestellt. Die Weitergabe der Akten an das Hessische Innenministerium ist ein hastiger Versuch des Ordnungsamtes, die „heiße Kartoffel“ aus der Hand zu geben, ohne durch die eigentlich gebotene Einstellung der Verfahrens voll und ganz das Gesicht zu verlieren. Eine offizielle Stellungnahme der Behörde oder der Pressestelle des Rathauses und eine offizielle schriftliche Antwort an den Beschuldigten Hans-Gerd Öfinger liegen bis heute nicht vor.

 

Amtsleiter Pohlenz und Dezernent Grella haben in den letzten Wochen viel Post, Faxe und e-mails bekommen. Wie meinen: Jetzt sollten sie auch jeden einzelnen Brief beantworten. Als Bürger haben wir einen Anspruch darauf zu erfahren, warum die Behörde zu Beginn des Verfahrens nicht ihre rechtliche Zuständigkeit geprüft hat. Amtsleiter Pohlenz muss sich unverzüglich für seine rufschädigenden öffentlichen Äußerungen öffentlich entschuldigen. Der entstandene finanzielle Schaden muß ersetzt werden. 

 

Hier noch mal die Anschriften:

q Der Leiter des Ordnungsamts der Landeshauptstadt Wiesbaden ist Herr Hans-Henning Pohlenz, Konrad Adenauer-Ring 11-13, 65197 Wiesbaden,                Tel. 0611-314400, Fax 0611-313937, e-mail: 32.ordnungsamt@wiesbaden.de

q Der zuständige Dezernent der Landeshauptstadt Wiesbaden ist Herr Peter Grella, Konrad Adenauer-Ring 11-13, 65197 Wiesbaden, Tel. 0611-315900, Fax 0611-317880, e-mail: dezernat.VII@wiesbaden.de

 

Spenden für die Kosten des Verfahrens und der Solidaritätskampagne

q Konto Christoph Mürdter, Kennwort „Solidarität“

  Konto Nr. 9147306, Wiesbadener Volksbank e.G., BLZ 510 900 00.

q Etwaige Überschüsse kommen der Wiesbadener Anti-Kriegs-Kasse zugute und werden vordringlich für die Anschaffung einer leistungsstärkeren Lautsprecheranlage verwendet. Wir bedanken an dieser Stelle herzlich uns bei allen bisherigen Spendern.

 

Solidaritätsschreiben und Kopien der Protestschreiben weiterhin bitte direkt an:

q Hans-Gerd Öfinger, Postfach 2112, 65011 Wiesbaden

q Fax 0611 - 406807, e-mail: oefinger@web.de

 

Bitte handelt/handeln Sie schnell.
Wer im Stich läßt seinesgleichen, läßt ja nur sich selbst im Stich!

 

Mit solidarischen Grüßen

Christoph Mürdter
9. Juli 2003

Initiative Gewerkschafter und Jugend gegen den Krieg, Postfach 2112, 65011 Wiesbaden
Tel./Fax 0611/406807.
E-mail: web-redakteur@web.de.

www.wiesbadener-gegen-krieg.de

 

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